Einleitung
In der Elektrotechnik hält sich hartnäckig das Gerücht, ein vierpoliger Fehlerstromschutzschalter (RCD) dürfe höchstens sechs Leitungsschutzschalter (LS) nachgeschaltet haben. Diese Aussage führt immer wieder zu Diskussionen und Planungsunsicherheit – selbst unter Fachleuten. Doch was sagen die DIN 18015 und die VDE 0100-530 tatsächlich?
Der folgende Beitrag klärt auf, ob die „6-LS-Regel“ eine Pflichtvorgabe oder lediglich eine Planungsempfehlung ist, und erläutert technische Hintergründe zu Ableitströmen, Selektivität und Überlastschutz.
1. Normativer Hintergrund
DIN 18015 – Planungsgrundlage, keine Vorschrift
In der Norm DIN 18015-1:2020-05 („Elektrische Anlagen in Wohngebäuden – Planungsgrundlagen“) findet sich die Empfehlung:
- bei 2-poligen RCDs maximal 2 Endstromkreise
- bei 4-poligen RCDs maximal 6 Endstromkreise
Diese Werte sind nicht verbindlich, sondern dienen der Planung und Anlagenverfügbarkeit.
Die DIN 18015 ist eine Planungsnorm, keine Sicherheitsnorm – sie wird nur verbindlich, wenn sie vertraglich vereinbart oder ausdrücklich als anerkannte Regel der Technik zugrunde gelegt wird.
Fazit: „6 Stromkreise pro RCD“ ist eine Empfehlung, keine Pflicht.
VDE 0100-530 – Verbindliche Anforderungen
Die DIN VDE 0100-530:2018-06 schreibt keine feste Zahl von Stromkreisen pro RCD vor, fordert aber in Abschnitt 531.3.6, dass nicht alle Endstromkreise über denselben RCD geführt werden dürfen.
Ziel ist, bei Auslösung eines RCD nicht die gesamte Anlage abzuschalten. Daher sollen mehrere RCDs so zugeordnet werden, dass wesentliche Verbraucher (z. B. Licht, Kühlung, Heizung) auf verschiedene RCDs verteilt sind.
Praxisregel: Mindestens zwei RCDs pro Wohneinheit sind heute Stand der Technik.
2. Technische Aspekte
Ableitströme und Fehlauslösungen
Jedes elektronische Gerät verursacht geringe Ableitströme über Filter und Entstörkomponenten.
Bei vielen Geräten an einem RCD addieren sich diese Ströme.
Wird etwa 30 % des Bemessungsdifferenzstroms (also ca. 9 mA bei 30 mA-RCD) überschritten, steigt die Wahrscheinlichkeit unerwünschter Auslösungen.
Je mehr Stromkreise ein RCD versorgt, desto mehr Geräte hängen an ihm – und desto größer wird die Summe der Ableitströme.
Die „6-LS-Regel“ hat also keinen sicherheitstechnischen, sondern einen praktischen Hintergrund: Sie soll Fehlauslösungen vermeiden und die Anlagenverfügbarkeit sichern.
Selektivität und Betriebssicherheit
Die Aufteilung der Stromkreise auf mehrere RCDs erhöht die Selektivität:
Im Fehlerfall schaltet nur der betroffene Bereich ab, nicht die gesamte Anlage.
Das entspricht der Forderung der DIN 18015-2, wonach „das Abschalten eines RCD nicht zum Ausfall aller Stromkreise führen darf“.
Mehrere RCDs erhöhen also Komfort und Sicherheit – sie sind eine Frage der guten Planung, nicht der reinen Normpflicht.
3. Überlastschutz von RCDs
Ein RCD schützt nicht vor Überstrom.
Er reagiert ausschließlich auf Fehlerströme ≥ IΔn (z. B. 30 mA).
Gegen Überlast oder Kurzschluss müssen Vorsicherungen oder Leitungsschutzschalter eingesetzt werden.
Ein typischer 4-poliger RCD mit 40 A Bemessungsstrom darf dauerhaft nur 40 A pro Phase führen.
Der Schutz erfolgt durch:
- Vorsicherung (z. B. 35 A SLS, Neozed-Sicherung)
- oder Begrenzung der Summe der LS-Ströme hinter dem RCD
Wird der RCD korrekt vorgesichert, spielt die Anzahl der LS-Schalter keine Rolle.
Die „6-LS-Grenze“ bezieht sich also nicht auf den Überlastschutz, sondern auf die Planungsempfehlung.
4. Fazit
Die oft zitierte Regel „maximal 6 Leitungsschutzschalter pro RCD“ ist kein verbindliches VDE-Gebot, sondern eine Empfehlung aus der Planungsnorm DIN 18015.
Verbindlich ist nur, dass mehrere RCDs vorgesehen werden, um Selektivität und Anlagenverfügbarkeit sicherzustellen.
Die tatsächliche Zahl der Stromkreise hängt ab von:
- Summe der Ableitströme,
- Bemessungsstrom und Vorsicherung des RCD,
- sowie der Art der Verbraucher.
Ein korrekt vorgesicherter 40-A-RCD kann technisch problemlos mehr als sechs Stromkreise versorgen, wenn Ableitströme und Belastung im zulässigen Rahmen bleiben.
5. Empfehlungen für Elektrofachkräfte
- Anlagen auf mehrere RCDs verteilen – mindestens zwei pro Wohneinheit.
- Ableitströme berücksichtigen – Summe < 30 % des IΔn (≈ 9 mA bei 30 mA-RCD).
- Überlastschutz sicherstellen – Vorsicherung oder Lastverteilung prüfen.
- Herstellerangaben beachten – Kurzschlussfestigkeit, Typ (A, F, B) und zulässige Vorsicherung.
- RCBOs einsetzen, wenn Selektivität oder Platzbedarf kritisch sind.
Literatur und Quellen
- DIN 18015-1, Elektrische Anlagen in Wohngebäuden – Planungsgrundlagen
- DIN VDE 0100-530, Errichten von Niederspannungsanlagen – Schutzmaßnahmen – Schalt- und Steuergeräte
- VDE-Verlag, Kommentierungen

