Einleitung
Viele Gebäude in Deutschland verfügen noch über Elektroanlagen, die älter als 40 Jahre sind und bis heute genutzt werden.
Eine allgemeine Nachrüstpflicht besteht zwar nicht, doch immer wieder stellt sich die Frage, wann eine Modernisierung erforderlich oder sogar zwingend ist.
Einen echten Bestandsschutz gibt es in der Elektrotechnik nicht – es besteht aber die Pflicht, den sicheren Betrieb jederzeit zu gewährleisten.
Dieser Beitrag erklärt, welche Risiken alte Elektroinstallationen bergen, wann Handlungsbedarf besteht und welche Normen und Sicherheitsvorschriften anzuwenden sind.
1. Bestandsschutz oder Nachrüstpflicht
Der Begriff „Bestandsschutz“ wird im Zusammenhang mit elektrischen Anlagen häufig missverstanden.
In der Elektrotechnik gilt grundsätzlich:
Eine Anlage darf weiter betrieben werden, wenn sie zum Errichtungszeitpunkt den geltenden Normen entsprach und heute noch sicher betrieben werden kann.
Es besteht also keine pauschale Nachrüstpflicht, jedoch klare Vorgaben für jede Änderung oder Erweiterung:
- Neue Anlagenteile müssen nach aktuellem Stand der Technik errichtet werden (z. B. DIN VDE 0100-410, DIN VDE 0100-600).
- Alte Komponenten, die eine normgerechte Erweiterung verhindern, sind zu ersetzen oder anzupassen.
- Eine der wenigen verbindlichen Nachrüstungen war der Berührungsschutz, der laut VBG 4 bis zum 31. Dezember 1999 umzusetzen war.
- Wenn Sicherheitsmängel bestehen oder sich die Gebäudenutzung ändert, besteht Modernisierungspflicht gemäß DIN VDE 0105-100.
2. Häufige Probleme alter Elektroanlagen
Fehlender Fehlerstromschutz (RCD)
Viele Altanlagen besitzen keinen FI-Schutzschalter.
Nach DIN VDE 0100-410 ist ein Fehlerstromschutz für alle Steckdosenstromkreise bis 32 A vorgeschrieben.
Fehlende RCDs stellen ein hohes Risiko für Stromunfälle dar – insbesondere in Feucht- oder Außenbereichen.
Überlastung durch moderne Verbraucher
Alte Anlagen wurden für deutlich geringere elektrische Lasten ausgelegt.
Moderne Geräte wie Wärmepumpen, Induktionsherde oder Elektrofahrzeuge führen häufig zu Überlastungen, die Erwärmung und Brandgefahr begünstigen.
Veraltete Leitungen und Isolationen
In den 1960er bis 1980er Jahren verbaute PVC- oder Aluminiumleitungen neigen zur Alterung und Versprödung.
Spröde Isolationen erhöhen die Gefahr von Kurzschlüssen und Fehlerströmen erheblich.
Fehlender Schutzleiter
Vor allem in Gebäuden aus den 1950er- und 1960er-Jahren finden sich noch klassische Nullungen (TN-C-Systeme) oder Steckdosen ohne Schutzleiter.
Bei metallischen Geräten besteht hier akute Lebensgefahr.
Mangelhafte Erdung und Potentialausgleich
Fehlender oder unzureichender Potentialausgleich (Verbindung aller leitfähigen Metallteile mit Erde) kann gefährliche Berührungsspannungen verursachen – ein häufiger Mangel in Altbauten und Kellerräumen.
3. Wann besteht Handlungsbedarf?
Auch wenn keine allgemeine Nachrüstpflicht besteht, ist eine Modernisierung zwingend erforderlich, sobald:
Anlagen erweitert oder verändert werden
- Jede Erweiterung oder jeder Umbau muss nach den aktuellen VDE-Normen ausgeführt werden.
- Alte Bauteile, die den neuen Sicherheitsstandard verhindern, sind zu ersetzen.
Sicherheitsrisiken festgestellt werden
- Anlagen mit beschädigten Leitungen, fehlendem Schutzleiter oder Überlastung gelten als nicht sicher.
- Eine sofortige Nachrüstung oder Außerbetriebnahme kann erforderlich sein.
Die Nutzung des Gebäudes sich ändert
- Wird ein Raum umgewidmet (z. B. von Lager- zu Wohnraum), muss die Elektroinstallation den aktuellen Anforderungen entsprechen.
Empfohlene Modernisierungsmaßnahmen
Auch ohne gesetzliche Verpflichtung sind folgende Schritte dringend empfehlenswert:
- FI-Schutzschalter (30 mA) nachrüsten
- Schraubsicherungen durch moderne Leitungsschutzschalter (LS) ersetzen
- Erdung und Potentialausgleich überprüfen und erneuern
- Sicherheitsprüfung nach DIN VDE 0105-100 bzw. VDE 0100-600 durchführen
4. Fazit
- Einen echten Bestandsschutz gibt es nicht – aber auch keine generelle Nachrüstpflicht, solange die Anlage sicher betrieben werden kann.
- Jede Änderung oder Erweiterung ist nach aktuellen Normen auszuführen.
- Alte Anlagenteile sind zu ersetzen, wenn sie die Sicherheit beeinträchtigen.
- Fehlender FI-Schutz, Überlast oder beschädigte Leitungen sind eindeutige Gründe für eine Modernisierung.
Empfehlung:
Lassen Sie Elektroanlagen, die älter als 40 Jahre sind, regelmäßig von einer Elektrofachkraft oder einem öffentlich bestellten Sachverständigen prüfen.
Eine frühzeitige Modernisierung schützt Menschenleben und Sachwerte – und stellt die Sicherheit nach aktuellem Stand der Technik sicher.
Relevante Normen und Vorschriften
- DIN VDE 0100-410: Schutz gegen elektrischen Schlag
- DIN VDE 0100-600: Erstprüfung elektrischer Anlagen
- DIN VDE 0105-100: Betrieb elektrischer Anlagen
- DGUV Vorschrift 3 (ehem. VBG 4): Unfallverhütungsvorschrift für elektrische Anlagen
- NAV § 20: Anforderungen an den Netzanschluss
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