VDE-Normen im Sachverständigengutachten – Stand der Technik, Vermutungswirkung und Beweislast

1. Einleitung

VDE-Normen im Sachverständigengutachten spielen eine zentrale Rolle, wenn es um die Beurteilung der Sicherheit und Ausführungsqualität elektrischer Anlagen geht.
Gerichte, Versicherungen und Bauherren nutzen sie als objektiven Maßstab, um festzustellen, ob eine Installation den anerkannten Regeln der Technik entspricht.
Für Sachverständige sind die Normen daher weit mehr als eine technische Empfehlung – sie definieren den fachlichen Sorgfaltsmaßstab und beeinflussen in Streitfällen sogar die Beweislastverteilung.


2. DIN-VDE-Normen und ihre rechtliche Einordnung

DIN-VDE-Normen sind private technische Regelwerke, keine Gesetze. Dennoch besitzen sie eine starke rechtliche Relevanz:

  • § 49 EnWG verpflichtet zur Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik und verweist ausdrücklich auf die technischen Regeln des VDE.
  • Die Niederspannungsanschlussverordnung (NAV) und die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) konkretisieren diesen Bezug, indem sie die VDE-Bestimmungen als verbindlichen Sicherheitsmaßstab anwenden.

In der Praxis bedeutet das:
Wer nach VDE-Normen arbeitet, handelt rechtssicher und fachgerecht.
Abweichungen sind zwar möglich, müssen aber gleichwertige Sicherheit gewährleisten und nachvollziehbar begründet werden.


3. Anerkannte Regeln der Technik vs. Stand der Technik

Im Gutachten ist die zeitliche Zuordnung entscheidend.
Die Beurteilung einer Anlage erfolgt nach den zum Errichtungszeitpunkt geltenden Regeln.

BegriffBedeutung
Allgemein anerkannte Regeln der Technik (aaRdT)In Wissenschaft und Praxis bewährte Verfahren, die den Konsens der Fachleute widerspiegeln.
Stand der TechnikAktuellster Entwicklungsstand – auch neue, noch nicht weit verbreitete Verfahren.
Stand von Wissenschaft und TechnikTheoretisch höchstes Niveau, oft ohne unmittelbare Praxisrelevanz.
  • Für Gutachten maßgeblich ist meist der aaRdT, da dieser in § 49 EnWG, § 13 VOB/B und § 633 BGB verankert ist.
  • Der Stand der Technik wird nur herangezogen, wenn Verträge, Genehmigungen oder gesetzliche Vorschriften dies ausdrücklich verlangen.

4. Vermutungswirkung und Beweislastumkehr

Ein zentraler rechtlicher Mechanismus ist die sogenannte Vermutungswirkung der VDE-Normen (§ 49 Abs. 2 EnWG):

Wird eine Anlage nach VDE-Normen errichtet, wird vermutet, dass sie den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht.

Das bedeutet:
Wer nach den DIN-VDE-Normen arbeitet und dies dokumentiert, gilt als sorgfältig handelnd.
Im Schadensfall muss der Gegner beweisen, dass trotzdem ein Mangel oder Fehler vorliegt.

Andersherum gilt:
Wer von den Normen abweicht, trägt die Beweislast dafür, dass seine Lösung gleichwertig sicher ist.
Diese Beweislastumkehr wurde bereits durch das OLG München (NJW-RR 1992, 1523) bestätigt und ist fester Bestandteil der Rechtsprechung.

Für Sachverständige bedeutet das:

  • Normkonforme Ausführung = Vermutung für fachgerechtes Handeln.
  • Normabweichung = Nachweispflicht des Abweichenden.

5. NAV – rechtlicher Rahmen für den Netzanschluss

Die Niederspannungsanschlussverordnung (NAV) regelt den Anschluss elektrischer Anlagen an das öffentliche Netz.
Sie schreibt in § 20 vor, dass die Technischen Anschlussbedingungen (TAB) dem allgemeinen Stand der Technik entsprechen müssen.

Damit gilt:

  • Eine Anlage, die VDE-konform errichtet wurde, muss vom Netzbetreiber akzeptiert werden.
  • Abweichungen sind nur zulässig, wenn sie den aaRdT mindestens erfüllen.

Für Gutachter ist die NAV ein zentrales Prüfwerkzeug, etwa bei Streitfällen über Anschlussverweigerung, Abnahme oder Betriebssicherheit.


6. Relevanz für das Sachverständigengutachten

In einem elektrotechnischen Gutachten dienen VDE-Normen als fachliche Bewertungsgrundlage.
Der Sachverständige prüft und dokumentiert:

  • welche Normen zum Errichtungszeitpunkt galten,
  • ob diese eingehalten wurden,
  • und welche Auswirkungen Abweichungen haben.

Die Normenangaben (Nummer, Titel, Ausgabedatum) sind im Gutachten präzise zu nennen, um den Beurteilungszeitpunkt eindeutig zu dokumentieren.
So bleibt das Gutachten nachvollziehbar, überprüfbar und gerichtsfest.

Dabei gilt:

Der Sachverständige bewertet technische Sachverhalte, nicht rechtliche Schuldfragen.

Das Gericht zieht aus den technischen Feststellungen eigene rechtliche Schlüsse (Grundsatz jura novit curia).


7. Fazit und Handlungsempfehlungen

  1. Normkonformität ist der sicherste Weg – sie schafft Vermutungswirkung und schützt vor Haftung.
  2. Abweichungen dokumentieren und begründen – nur so bleibt die Gleichwertigkeit nachvollziehbar.
  3. Normverweise im Gutachten klar kennzeichnen – inklusive Ausgabejahr und Titel.
  4. Rechtliche Wertungen vermeiden – das bleibt Sache des Gerichts.
  5. Ständige Weiterbildung – nur wer aktuelle Normstände kennt, kann korrekt begutachten.

Kernaussage:
VDE-Normen sind keine Gesetze, wirken aber rechtlich wie ein Sicherheitsanker.
Sie schaffen klare Maßstäbe und Beweislastregeln – und sind damit das Fundament jedes elektrotechnischen Sachverständigengutachtens.


Quellen & Verweise


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